Anlaesslich meines 1.000. Beitrags hier im Forum gibt es nun mal einen halbwegs sinnvollen in Form eines Artikels zum Thema Multi Table Tournament (MTT) Strategy auf dem mirco/low limit. Mein Artikel bezieht sich sowohl auf freeze-out als auch re-buy MTTs mit > 1000 Teilnehmern und einem buy-in von <$ 10.
Wichtige Anmerkung: Ich schreibe hier ueber meine Spielweise in micro/low limit MTTs, welche fuer den fortgeschrittenen Turnierspieler seltsam anmuten koennte und auch fuer MTTs mit hoeherem buy-in oder herkoemmlichen SNG erfahrungsgemaess NICHT erfolgreich anwendbar ist. Here we go…
ALLGEMEINES• Time Management: Wenn Ihr euch fuer ein MTT registriert, muesst ihr davon ausgehen, dass es ueber mehrere Stunden gehen kann und ihr die auch zur Verfuegung habt, sonst ist es von vornherein reine Zeit- und Geldverschwendung, sich ueberhaupt an den Tisch zu setzen. Und ihr muesst daran glauben, dass ihr so ein Ding abstauben koennt, denn nur so kann es tatsaechlich funktionieren und nicht mit: „Mal sehen wie weit ich heute komme“!
• Varianz: Wenn ihr euch ausschliesslich fuer das Spielen von MTTs entscheidet, muesst ihr die schmerzende Tatsache, fuer einige Zeit nicht oder wenn, nur in die unteren Geldraenge zu kommen, mit stoischer Erhabenheit hinnehmen. „Poker ist a game of high variance“ und MTTs auf den micros machen nur dann Spass, wenn man des Vergnuegens wegen und nicht des Geldes wegen spielt.
• Fokus: Oeffnet zeitgleich keine Cash Game (CG) Tische. Der Unterschied zwischen ring games und tourneys ist einfach zu eklatant und gerade Anfaengern gelingt dann weder dort noch da eine erfolgreiche Session. Lasst euch auch nicht zu stark ablenken von Dingen wie Fernsehen, Internet surfen etc. Generell sollte der Focus auf dem Spiel liegen, da ein einziger Fehler idR ein ganzes Turnier zunichte macht.
• Bank Roll Management: hat im MTT play top Prioritaet! Ich empfehle etwa 100 average buy-ins fuer den reinen MTT Spieler, da ihr andernfalls ziemlich sicher ungluecklich werdet. Ich selbst betreibe ein extrem konservatives BRM und mixe MTTs zusaetzlich mit SNG bis 180 Teilnehmern, die eine wesentlich geringere Varianz haben. Tatsächlich spielen viele Spieler, aus Angst broke zu gehen, einfach nicht ihr A-Game („scared money“).
Davon einmal abgesehen gilt vor allem im MTT Bereich: „bankroll grows faster than skill“, sprich: ein einzelner fetter Cash macht noch keinen winning player im long run und berechtigt schon gar nicht, ein paar Limits zu ueberspringen.
TURNIERPHASEN1 FRUEHE PHASE
• Hier gilt es tight/hyper-aggressive zu spielen. Aufgrund der hohen Fischdichte spiele ich in der ersten Stunde ausschliesslich QQ+ und AK, und diese Karten positionsunabhaengig All-In, also wirklich so aggressiv wie moeglich. Das mag jetzt seltsam klingen, aber ihr werdet damit nicht selten von 2 Spielern gecallt und da tauchen dann meistens hole cards wie 88 oder AT auf. Daher auf jeden Fall shoven, weil es darum geht, die hoechst moegliche equity erhalten. Ihr spielt micro limit!!! Hier ist es imo sinnlos, die grosse Strategie auszuhecken und zu versuchen irgendeinen Fisch zu trapen, zumal sich Tourney Poker groesstenteils preflop abspielt.
• „Avoid playing big pots early“ ist ein Rat meinerseits, wobei die Ausnahme hierbei fuer premium holdings gilt (da sollte der Pot so gross wie moeglich sein). Eure Chips sind in der fruehen Phase eines Turnieres aus ICM (=Independent Chip Model) Sicht wertvoller als in spaeteren Phasen. Ich selbst vermeide es anfangs ganz einfach, mir Flops mit Pocket 77 oder A9s „einfach mal anzusehen“.
Beispiel: Euer Stack 1,500t$, blinds 20/40t$. Ihr limpt aus MP (=middle position) mit

und werdet vom BB auf das 2-fache geraist. Ihr bezahlt. Der Flop kommt

. Der BB setzt 120t$, also etwa den halben Pot. Ihr bezahlt wieder mit TPTK (Top Pair Top Kicker). Turn:

. Villain bettet wieder half pot size, was einen weiteren Call von euch nach sich zieht, denn sofern ihr am Flop nicht ausgestiegen seid, bezahlt ihr meistens alle Strassen hindurch, insbesondere wenn im weiteren Verlauf ungefaehrliche Karten kommen. Auf einen blank river (

) nochmals eine bet von Villain etwa half pot size und ein crying Call von euch. Villain zeigt JJ und ihr habt fuer den weiteren Turnierverlauf nur noch etwa den halben Stack uebrig.
Solche Situationen sind nicht notwendig, passieren Anfaengern jedoch staendig. Da die Beispielhand auch keine ist, die ihr preflop shoven solltet, halte ich ein Laydown in dieser Turnierphase fuer am Besten.
• In der Anfangsphase ist es noch ziemlich banane, mit welchen Spielertypen ihr am Tisch sitzt. Es reicht beinahe aus, die eigenen Karten zu spielen. Das Niveau ist schwach und das Turnier lang. „Was denkst du, was ich denke, was du haeltst“ ist hier ebenso wenig ein Thema wie ein Hold’em Manager, Poker Tracker und Konsorten. Alles easy, einfach geduldig bleiben.
• „Cheap shots“: Wenn ihr einen halbwegs sicheren Stack durch ein double- oder triple-up aufgebaut habt, rate ich davon ab, erstmal ein Paeuschen zu machen und das Spiel sich selbst zu ueberlassen. Es ist zwar jetzt nicht angebracht aufzuloosen und mit schwaecheren Haenden zu attackieren, aber durchaus aufmerksamer zu spielen. Laesst sich ein verzweifelter Short stack, der mit any two cards pusht, schlucken? Versucht jemand offensichtlich die blinds zu stehlen? Lohnt sich ein Call for set value aufgrund der implied odds in einem family pot? Hier geht es also darum, Chancen wahr zu nehmen und gut gepolstert die steigenden blinds bis zur mittleren Phase mitzunehmen.
2 MITTLERE PHASE
• Die mittlere Phase ist imo die laengste und muehsamste. In der Regel wird das Verhaeltnis von eurem Stack zu den Blinds kleiner und die raise sizes (in BB gesehen) werden auch geringer. Zumeist setzt hier auch die Ante ein.
• Hier solltet ihr anfangen spekulative Haende aggressiv zu spielen, spaetestens dann, wenn die blinds einen stehlenswerten Level erreicht haben. Reines Limpen von beispielsweise kleinen Paaren ist keine gute Idee, da derartige Haende in dieser Phase keine ausreichenden implied odds mehr kriegen.
• Um deeper ins Turnier zu gelangen, muesst ihr auch bereit sein, zu bluffen. Dies impliziert jedoch, dass ihr eine gewisse Erfahrung damit habt und wisst, aus welcher Position ihr bluffen koennt, wen und vor allem wie (All-In, post oak, never bluff a calling station etc).
• Die mittlere Phase ist genau jene, in die viele Turnierspieler ueberhaupt erst gelangen, weil sie zu Beginn des Turnieres ihren Stack verdoppeln oder verdreifachen konnten, dann aber einfach haengen bleiben, weil sie „card dead“ sind, dadurch nichts mehr fuer das Spiel machen und somit von einer sehr guten Ausgangsposition in eine schlechte Position unter den Average Stack abrutschen. „ Don't let yourself get so short that a raise/shove from you has no meaning”. Sehr tighte Spieler werden hier nicht selten ausgeblindet und beschweren sich dann, dass ihre Aces letztlich von Q8 des Chipleaders am Tisch gecrackt wurden.
• Was also tun, wenn man seit gefuehlten Stunden jede Hand preflop niederlegt? Ich rate dazu, mal die blinds mit any two hole cards zu stehlen – am besten gar nicht anzusehen -, da ihr ja mittlerweile ein extrem tightes Image am Tisch haben solltet. Eine andere Moeglichkeit ist einen late position raiser zu reraisen. Und wenn ihr schon sehr short seid, All-In Push mit any pair.
• In der spaeten mittleren Phase wurder der Grossteil der donkfische und tiltmoneys bereits gebustet und viele Spieler kommen ihrem simplen Ziel, ins Geld (ITM) zu gelangen, naeher und spielen vorsichtig. Das solltet ihr unbedingt ausnutzen, vor allem als big stack.
• Ihr werdet nun auch nicht mehr so oft an einen anderen Table gesetzt und koennt somit anfangen die Gegner einzuschaetzen: wer ist maniacal, wer callt flat, wer ist obv weak-tight, etc.
• In der mittleren Phase fange ich auch gerne an am Tisch zu quatschen. Damit wird mir nicht langweilig, ich erfahre etwas ueber meine Gegner, ich merke mir auch Spielzuege und bet sizes leichter und die wirklich grottigen Spieler greifen meine blinds nicht mehr an. Das heisst aber nicht, dass ihr euch Freunde machen sollt. Poker ist kein Teamsport.
3 BUBBLE
• Es ist keine Ueberraschung, dass das Spiel zur Bubble (=letzte Platzierung, die leer ausgeht) hin, extrem langsam wird. „Time play“ steht auf der Tagesordnung. Nicht nur Short Stacks lassen die clock jede Hand bis zum time out laufen. Ich versuche in dieser Phase immer deeper ins Turnier zu kommen, weil es so unspektakulaer ist, immer nur irgendwo in den hinteren Geldraengen landen, obwohl ihr das solltet, wenn ihr euren EV (= expected value) maximieren wollt.
• Short stacked: Mit wenig verbliebenen Chips respektive in einer aussichtslosen Situation rate ich dennoch vorsichtig zu spielen und sich ins money zu folden. Soll jetzt nicht heissen, Aces oder Kings niederlegen, nur um ein paar Dollar zu gewinnen!
• Big stacked: In der Bubble sind short stacks und schwache Spieler definitv ein Angriffsziel. Einen ALL-IN Push eines shortstacks hingegen calle ich in dieser Turnierphase mit mittelmaessigen bis guten Starthaenden nicht, denn die haben zumeinst einen fuer den short stack langersehnten Grund (premium holdings).
• Average stacked: „FTW„ (= for the win), nachdem die Blase geplatzt ist.
4 SPAETE PHASE
• Es wird mit deutlich spekulativeren Haenden gespielt, weil ihr in den Geldraengen gelandet seid (die Bubble ist geplatzt) und das Verhaeltnis von Stacks zu blinds noch kleiner geworden ist, was bei einigen Spielern eine Art Panik verursacht. Das Spiel wird nun recht hektisch, insbesondere wenn es sich um ein Turbo MTT handelt.
• Hier beginne ich neben eigenen All-In Pushes auch die All-Ins meiner Gegner zu callen, um meinen Stack auszubauen. Short Stacks versuchen aus spaeter Position mit abstrusesten hole cards die blinds zu stehlen, vor allem dann, wenn beispielsweise die naechsten 40-50 Platzierungen dasselbe Preisgeld erhalten. Diese Vorgehensweise ist voellig legitim, mache ich selbst auch. Ich spiele nach Nash (Nash Equilibrium) any two hole cards, wenn es mein Chipsstapel verlangt, da ich lieber kaempfend untergehe als ausgeblindet zu werden. Im Gegenzug calle ich – soferne ich den Shortstack locker covere –auch sehr oft skrupellos. Ein zunehmendes Gefuehl dafuer bekommt ihr mit mehr Turniererfahrung. Dennoch hier bitte das „Gap Konzept“ in seinen Grundzuegen nicht vernachlaessigen: Ihr benoetigt immer eine bessere Hand zum callen als zum pushen!
• „Resteals“: Es kommt ziemlich haeufig vor, dass ich einen Angreifer aus spaeter Position mit akzeptablen pockets All-in reraise.
Beispiel: Euer Stack 35,000t$ blinds 1,000t$/2,000t$/200t$, hole cards:

. Der BTN (30,000t$) macht nach kurzer Ueberlegungsphase open raise auf 6000t$, SB foldet, ihr im BB reraist AI, Villain (BTN) instant foldet und ihr nehmt einen Pot in Hoehe von 14.800t$ mit.
Klar callt Villain auch manchmal und es tauchen Kings auf, aber in den meisten Faellen ist es sowas wie Ace-Rag, ein Coinflip oder eben ein direkter Fold.
• Ich wuerde die spaete Phase als meine looseste bezeichnen (Ausnahme FT short handed), wobei das eher relativ ist, da ich generell ein sehr tighter Spieler bin.
• Unter 100 Spielern fange ich an, player notes zu machen, dh insbesondere die hand ranges meiner fast ausschliesslich unbekannten Gegenspieler zu notieren, da es gut moeglich ist, sie am Final Table (FT) wieder zu treffen und so besser einschaetzen zu koennen.
5 FINAL TABLE
• Down to 9 gilt es erst einmal Ruhe zu bewahren und sich die Gegner genau anzusehen. Stellt euch einfach vor, ihr nehmt an einem Single Table Tournament (STT) als short oder big stack, (je nachdem) teil und habt nicht schon 3-4 Stunden hinter euch. Das jedenfalls nimmt den Druck aus der Situation.
• Ich ueberpruefe die Turnierstatistik meiner Gegner im Schnelldurchlauf, um zu sehen, wer Erfahrung hat und wer nicht, dh wer ein leichteres Ziel fuer mein aggressives Spiel ist.
• Die Stacks sind am FT eines MTTs oft 7 oder 8stellig, der BB auch mal 5 bis 6stellig – lasst euch davon nicht einschuechtern!
• Am FT muesst ihr eure Strategie davon abhaengig machen, wo ihr mit eurem Stack steht. Als short stack bleibt meist nur noch zu gamblen Seid ihr moderate stacked, wartet lieber bis sich die shorties gegenseitig rauswerfen oder eventuell von big stacks gefressen werden. Seit ihr chipleader, kontrolliert das Spiel, aber macht nicht auf bully.
• Die Preisstruktur sieht nun immer groessere Spruenge zwischen den einzelnen Platzierungen vor. Der 8. Platz erhaelt bereits um einiges mehr als der 9., daher ist es ratsam, eher zurueckhaltend zu spielen („tight is right“), und wenn dann All-In, da die blinds in diesem Stadium bereits extrem hoch sind.
• Ich wuerde erst wieder aufloosen, wenn nur noch 5 oder 6 Player uebrig sind. Vor allem down to 3 wird es sehr wichtig, zu attackieren, da der Unterschied zwischen dem Preisgeld fuer Platz 3 und Platz 2 geringer ist als zwischen Platz 2 und Platz 1 und ihr solltet immer um den Sieg kaempfen!
• Im Heads-Up bleibt keine Zeit zum Entspannen. Zumeist werdet ihr schon einige Infos ueber euren Gegner haben, da ihr ja schon einige Zeit zusammen am Tisch sitzt. Den groessten Fehler, den ihr hier machen koennt, ist tight zu spielen und dadurch eventuell ausgeblindet zu werden. Sofern ihr also keinen Deal ausgehandelt habt: Angreifen, angreifen, angreifen! FTW!
EXKURS: Re-buy MTTs
• Strategisch gesehen spiele ich die Re-buys gleich wie freeze out tourneys, obwohl sie definitiv looser sind, wenn auch der Unterschied auf den micros nicht unbedingt krass ist. Zu Beginn rate ich euch immer Chips (1 Re-buy) hinzu zukaufen, um euren Stack aufzudoppeln. Ebenso empfehle ich euch immer immer auch das Add-on, wenn ihr euch im Turnier bis dahin gut gehalten habt. Nach Ende der Re-buy/Add-on Phase wird das Spiel dann auffaellig ruhiger.
• Der Grund warum ich Re-buys spiele, laesst sich an folgendem Beispiel leicht erklaeren: Ein 3$+1R+1A MTT kostet in der Regel 9$+Rake. Da ein Teil der Spieler zu Beginn kein Re-buy wahrnimmt, habt ihr mit dem quasi doppelten Stack einen Vorteil. Viele Spieler kaufen sich auch mehrmals „doppelt“ ein, was am Ende einen wirklich lohnenswerten Preispool ergibt, der mit dem Add-on noch einmal ansteigt.
• Mich selbst interessiert das Turnier idR nicht mehr, wenn ich ausscheide, da ich dann erfahrungsgemaess relativ unkonzentriert und uebermaessig kreativ wieder einsteige. Sofern ihr euch als einen der besseren Spieler im Feld bezeichnen koennt, ist es aber generell sinnvoll, sich neu einzukaufen.
CONCLUSIO: „There is good money to be made in tournaments; there is a chance for a big score!“ (D. Sklansky)
Um bei einem MTT ganz nach oben zu gelangen, gehoert sehr viel Glueck dazu, keine Frage, aber ich denke mit der richtigen Strategie koennt ihr eure Chancen, den Finaltisch zu erreichen stark erhoehen. Obwohl ich auch in vielen Turnieren jenseits von Gut und Boese lande, halte ich Tourney Poker weder fuer rigged noch fuer unschlagbar und es ist definitiv moeglich, ein micro MTT zu crushen, sofern ihr spieltechnisch an euch arbeitet.
Ich persoenlich konnte bisher drei mal das Heads-up in MTTs mit mehr als 3000 Teilnehmern erreichen und wage zu sagen, dass Geduld, Erfahrung, (nicht blind eingesetzte) Aggressivitaet im Spiel, ein mathematisches Grundverstaendnis und ein ganz klein wenig Talent (Skill) den Schluessel zum Erfolg im Tourney Poker ausmachen!
Nun, mehr faellt mir im Moment nicht ein! In diesem Sinne: Viel Erfolg all jenen, die jetzt ein wenig Lust auf das Spielen von Micro Multi Table Tournaments bekommen haben!
Eure Queen of Donkaments

Katrina
