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Pokerstrategie - Independent Chip Model

Poker Strategie

ICM - Independent Chip Model

Das Independent Chip Model sollte jeder Poker-Spieler kennen, der regelmäßig an Turnieren teilnimmt. Denn ohne dieses Konzept werden Entscheidungen getroffen, die nicht immer zielführend sind. Besonders kurz vor dem Erreichen des Preisgeldes ist das ICM sehr hilfreich, denn es bietet eine Grundlage, mit der Entscheidungen einfacher getroffen werden können.

Mittels des ICM’s ist es möglich, mit Hilfe der Stack-Größen die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen welcher der sich noch im Turnier befindlichen Spieler Erster, Zweiter oder Dritter wird. Es gibt zwei Möglichkeiten, für die das Independent Chip Model sehr hilfreich ist.

1.Anwendungsbeispiel: Du möchtest wissen, ob du ein All-In eines Gegners in der Endphase callen solltest.

2.Anwendungsbeispiel: Du bekommst von den verbleibenden Gegenspielern eines Turniers einen Deal angeboten und möchtest errechnen, ob der Deal fair ist.

(1) Anwendungsbeispiel - Spielsituation

Die mathematische Grundlage: Beim ICM geht man davon aus, dass das Verhältnis von eigenen Chips zu den im Turnier vorhandenen die Höhe der Chance ausdrückt, das Turnier zu gewinnen. Damit es etwas anschaulicher wird, anbei ein kleines Beispiel:

Beispiel 1

In einem Turnier sind noch fünf Spieler übrig. Das Turnier begann ursprünglich mit zehn Spielern und jeder hatte 1.000 Chips. Spieler A hat 5.000 Chips, Spieler B 2.000 Chips, Spieler C 1.500 Chips, Spieler D 1.000 Chips und Spieler E 500 Chips. Wenn Du nun die Wahrscheinlichkeit nach ICM auflösen willst, um herauszufinden welcher Spieler mit welcher Wahrscheinlichkeit Erster wird, dividiere den jeweiligen Chipstand durch die Summe aller Chips.

Anschließend werden die Wahrscheinlichkeit für die weiteren Platzierungen errechnet. Jetzt kannst Du den möglichen Gewinn mit dieser Wahrscheinlichkeit gegenüberstellen, um herauszufinden, wie hoch der erwartete Gewinn auf Grundlage dieser Situation sein wird (engl. Equity). Zur Berechnung der Equity verwende einfach einen ICM Rechner. Beachte dabei allerdings, dass die Equities nur anhand der Chipgrößen errechnet werden. Fähigkeiten der Spieler, die Höhe der Blinds, etc. werden im ICM Model nicht berücksichtigt.

Bleiben wir als Grundlage bei dem Beispiel und erweitern es. Wenn es sich um ein $10 + 1 Buy-In Turnier handelt und der Sieger $50, der Zweite $30 und der Dritte $20 ausbezahlt bekommen, dann sollte doch Spieler A zehnmal so viel erhalten wie Spieler E. Aber genau das ist nicht der Fall. Denn in der Tabelle ist ersichtlich, dass jeder Chip, der zusätzlich gewonnen wird, weniger wert ist als der verherige. Lediglich wenn ein Spieler alle ausgespielten Preisgelder erhält ("Winner takes it all"), sind die Chipwerte linear zueinander.

Für das obige Beispiel ergibt sich folgende Situation:
Spieler A (5.000 Chips): $36,75
Spieler B (2.000 Chips): $23,32
Spieler C (1.500 Chips): $19,12
Spieler D (1.000 Chips): $13,63
Spieler E (500 Chips): $7,18
Selber nachrechnen mit dem ICM Rechner

Nun stellt sich natürlich die Frage, wie man jetzt mit diesen Zahlen umgehen kann. Nehmen wir folgendes Beispiel an: Du bist Spieler B (mit 2.000 Chips) und die Blinds liegen bei 100/200. Du sitzt im BigBlind und alle Spieler bis auf Spieler A (5.000 Chips) im SmallBlind folden. Spieler A geht All-In. Du hast Tx Tx auf der Hand. Spieler A hat bisher sehr tight gespielt und ging bislang selten vor dem Flop All-in.

Es bieten sich jetzt drei interessante Möglichkeiten:

Möglichkeit A: Dein Gegner hat 2 höhere Karten aber kein Paar. Nach dem Odds Hand Calculator bist Du 57% zu 43% Favorit. Demnach verlierst Du mit einer Wahrscheinlichkeit von 43% und der erwartete Gewinn sinkt auf $0,00. Du gewinnst zu 57 Prozent und dein erwarteter Gewinn liegt dann bei $33,04 (vgl. ICM Rechner mit Spieler B: 4.000 Chips und Spieler A: 3.000 Chips).

Ein Call hat also folgenden erwarteten Gewinn bei $33,04 x 57% + $0 x 47%= $18,83. Dies heißt also, es lohnt sich nicht sonderlich, zu callen. Bei einem Fold wäre deine Equity nach der Hand bei $22 (Spieler B: 1.800 Chips). Ein Call in dieser Situation würde den zu erwartenden Gewinn auf $18,83 senken. Somit liegt dein statistischer Verlust bei einem Call bei $4,49 und bei einem Fold „nur“ bei $1,32.

Wenn Du an einem konventionellen Tisch am Bubble spielst und deine Führung gegenüber dem letzten Gegner ist sehr groß, dann benötigst Du ein enorm gutes Blatt, um einen Call eines All-Ins des Chipleaders so umzusetzen, dass es profitabel wird. Wenn Du hingegen in der Position des Chipleaders bist, kannst Du enormen Druck auf deine Gegenspieler ausüben.

Möglichkeit B: Dein Gegner kann ein höheres Pärchen vorweisen. Deine Favoritenchancen stehen bei etwa 20 % zu 80 %. Ein Call hätte also eine Erwartung von $33,04 x 20% + $0 x 80% = $6,61, womit sich ein statistischer Verlust von $16,71 ergibt.

Möglichkeit C: Dein Gegner hat ein niedrigeres Pärchen auf der Hand als Zehner. In diesem Fall bist Du Favorit mit etwa 80 % zu 20 %. Dies bedeutet, dass dein erwarteter Gewinn mit einer Wahrscheinlichkeit von 20 % auf 0,00 sinkt. Jedoch steigt dein Gewinn mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 % auf $33,04.

Dies bedeutet, der erwartete Gewinn liegt bei $33,04 x 80% + $0 x 20% = $26,43. Ein Call bringt dir einen statistischen Gewinn von $3,11.

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Wie Du in dem Beispiel siehst, ist es möglich, mit einer Hand sehr viel zu verlieren, gemessen daran ist der Hinzugewinn eher gering. Um den statistischen Gewinn/Verlust für die Situation nun zu berechnen, musst Du die Möglichkeiten gewichten. Dazu brauchst Du eine ungefähre Vorstellung darüber mit welchen Händen dein Gegner in solch einer Situation All-In geht.

Berechnung für einen Call unter Berücksichtigung der Hand Range des Gegners:
Wahrscheinlichkeit für Möglichkeit A mal $-4,49
plus Wahrscheinlichkeit für Möglichkeit B mal $-16,71
plus Wahrscheinlichkeit für Möglichkeit C mal $3,11
plus [...]

Weiterhin können Konstellationen wie 1 Overcard / 1 Undercard oder 2 Undercards betrachtet werden um die Berechnung komplett zu machen. Im Beispiel hatten wir gesagt, dass Spieler A bisher selten All-In gegangen ist und wir nehmen daher an, seine Hand ist stark. Wir legen fest, dass Spieler A zu 60% 2x hohe Karten (Mglk.1), zu 20% ein höheres Pärchen und zu 20% ein kleineres Pärchen auf der Hand hat.

Es ergibt sich folgenden Berechnung:
60% x $-4,49 + 20% x $-16,71 + 20% x $3,11 = $-5,41

Die Gewinnerwartung für einen Call in dieser Situation mit den getroffenen Annahmen ist negativ ($-5,41) – ein Call wäre damit mathematisch falsch.

Beispiel 2

Mittlerweile sind einige Runden gespielt worden und die Chipverteilung hat sich folgendermaßen verändert: Spieler A 5.500 Chips, Spieler B 3.000 Chips, Spieler C 1.500 Chips. Bei den Blinds hat es keine Veränderung gegeben, diese sind noch immer bei 100/200.

Du (Spieler B) sitzt im Big Blind und hast auf der Hand noch einmal Tx Tx , der Chipleader sitzt im Small Blind. Dieser geht jetzt All-In. Allerdings hat er in den zurückliegenden Runden immer wieder All-in gesetzt – nicht jedes Mal wird er dabei eine starke Hand gehabt haben. Auf dem ersten Blick erscheint die Situation sehr ähnlich zum 1.Beispiel. Allerdings besteht jetzt folgender Unterschied: Solltest Du ausscheiden, erhälst Du $20 Preisgeld für den dritten Rang.

Es ergeben sich folgende Equities:
Spieler A (5.500 Chips): $39,83
Spieler B (3.000 Chips): $33,20
Spieler C (1.500 Chips): $26,98
Selber nachrechnen mit dem ICM Rechner

Deine aktuelle Equity (Anteil am Preispool) beträgt $33,20. Solltest Du das All-In gewinnen, wäre deine Equity bei $41,06 (mit 6.000 Chips), bei einer Niederlage bekommst Du $20.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich dein Gewinn bei den möglichen Blättern verändert:

Möglichkeit A: Dein Gegenspieler kann zwei höhere Karten vorweisen. Die Verteilung der Favoritenrolle ist bei 57 % zu 43 %. Das bedeutet, dass du mit einer Wahrscheinlichkeit von 43 % verlierst und "nur" die $20 Preisgeld erhälst. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 57 % gewinnst Du die Runde und dein erwarteter Gewinn läge bei $41,06. In der Formel ausgedrückt passiert Folgendes: $41,06 x 57% + $20 x 43% = $32. Bei diesem Beispiel würde nun der erwartete Gewinn von $33,20 auf $32 sinken und der statistische Verlust liegt bei $1,20.

Möglichkeit B: Der Gegenspieler hat ein höheres Paar. Die Verteilung der Favoriten ist bei etwa 80 % zu 20 %. Die Berechnung sieht wie folgt aus: $41,06 x 20% + $20 x 80% = $24,21. Der statistische Verlust beträgt $8,99.

Möglichkeit C: Dein Gegenspieler verfügt über ein niedrigeres Pärchen. Du bist mit 80% zu 20% Favorit. Die Berechnung ergibt folgendes: $41,06 x 80% + $20 x 20% = $36,85. Dementsprechend steigt dein erwarteter Gewinn um $3,65.

Möglichkeit D: Dein Gegner spielt 7s 9s . Du bist mit 72% Favorit. Die Formel lautet $41,06 x 72% + $20 x 28% = $35,16. Dein erwarteter Gewinn würde sich um $1,96 steigern, wenn Du callst.

Berechnung für einen Call unter Berücksichtigung der Hand Range des Gegners:
Betrachtet wir nun wieder die möglichen Hände für Spieler A, stellen wir fest, dass er schon öfter All-In gegangen ist. Wir treffen die Annahme, dass er auch mit schlechteren Händen All-In geht.

Möglichkeit A – 2 höhere Karten: 45%
Möglichkeit B – Höheres Paar: 5%
Möglichkeit C – Niedrigeres Paar: 20%
Möglichkeit D – 2 kleinere Karten (einer Farbe od. Connected): 30%

Berechnung:
45% x $-1,20 + 5% x $-8,99 + 20% x $3,65 + 30% x $1,96 = $0,33

Der erwartete Gewinn ist positiv, wenn auch sehr knapp. Ein Call in dieser Situation wäre bei unseren Annahmen mathematisch richtig. Sollte Spieler A bei quasi jeder Möglichkeit All-In pushen steigt der erwartete Gewinn in diesem Beispiel. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass er dies mit schlechteren Händen macht, steigt.

Fazit

Wenn Du um die vorderen Plätze in Turnieren mitspielen willst, solltest Du das ICM kennen und anwenden. Da es jedoch fast unmöglich ist, die Berechnungen im Kopf durchzuführen, solltest Du dir im Anschluss einer Session einige Entscheidungen genauer anschaun und ggf. durchrechnen um in zukünftigen Turnieren ein besseres Gefühl in den entscheidenden Situationen zu haben.

(2) Anwendungsbeispiel - Das Berechnen von Deals

Nehmen wir folgendes Szenario an: Du nimmst an einem Turnier teil und der Sieger bekommt 40.000€, der Zweite 25.000€ und der Dritte 12.500€. Außerdem wird im Turnier ein Pokal ausgespielt. Du sitzt am Final Table und insgesamt sind drei Spieler am Tisch. Du bist Chipleader mit 38.750 Chips, deine Gegner haben 23.250 Chips und 15.500 Chips. Die Blinds stehen bei 500 / 1.000.

Deine Gegenspieler bieten dir nun einen Deal an. Egal, wie das Turnier endet, sollst Du 28.500€, Ihre Gegner 26.750€ und 22.250€ erhalten. Jetzt stellt sich die Frage, ob Du den Deal annehmen solltest. Zunächst könntest Du der Meinung sein, dass dieser Deal nicht besonders gut ist, denn mit doppelt so vielen Chips bietet man Dir lediglich 28.500€ an.

Der ICM Rechner liefert folgendes Resultat:
Chipleader: 30.491,07€
Zweiter: 25.437,50€
Dritter: 21.571,43€
Selber nachrechnen mit dem ICM Rechner

Du würdest insgesamt 1.991,07€ weniger erhalten. Wenn man bedenkt, dass die Blinds doch einigermassen hoch sind und die Gegner professionelle Erfahrung haben, sehr stark und durchaus in der Lage sind, dich einzuholen, wäre dieser Deal sicherlich keine schlechte Alternative.

Allein daran gemessen, dass man 1.991,07€ weniger einfährt als einem zustehen würden ist der Deal nicht besonders gut. Hier gilt es sehr genau abzuwägen, ob man es wegen eines Verlustes von 1.991,07€ riskiert, eventuell auf den 3.Platz abzurutschen.

Weitere Links

Independent Chip Model (ICM) Rechner